Emmy Vosen wurde am 25.10.1881 in Schalke geboren, dann lebte sie ab 1894/95 an verschiedenen Adressen in Buer von dort zog sie nach Essen möglicherweise, um eine Ausbildung zu machen. Sie selbst nannte sich Emmy, obwohl sie eigentlich Elvira hieß. Am 04.06.1903 zog sie dann nach Braunschweig um, wo sie ab dem 11. Mai 1912 ein Damenkonfektionsgeschäft besaß. Das Betriebskapital lag bei 20.000 M, der Name des Geschäftes am Kohlmarkt 5 trug den Namen „Modehaus Vosen“. Emmy Vosen beschäftigte dort 4-5 Mitarbeiter. Im Erdgeschoss verkaufte sie Hüte und Kleider, die sie im Obergeschoss schneiderte. Das „Modehaus Vosen“ war in Braunschweig die erste Adresse für Damenmode. Das Geschäft wurde als sehr gepflegt und edel beschrieben.
1919 zog Emmy, auf Anweisung der Wohnbehörde (auf Grund von Wohnungsknappheit), in ein Haus Am Gaußberg. Von den anderen Hausbewohnern dort wurde sie Vöschen genannt. Sie war ledig und kümmerte sich wie eine Mutter um den im Haus wohnenden Hans-Werner Rössing-Schmalbach. Als 1930 im Nachbarhaus Gaußberg 3 der herzogliche Oberforstrat von Rhamm gestorben war, wurden dort Zimmer frei und Emmy zog dort ein. Auch Emmys Geschäft war von dem April-Boykott betroffen, Augenzeugen berichten, dass sie von SA-Leuten am Betreten des Geschäftes gehindert wurden. In Braunschweig gab es jedoch auch Menschen, die den Boykott nicht unterstützen wollten. Sie nahmen die Beschimpfungen der SS-Leute in Kauf, um bewusst gerade die jüdischen Geschäfte zu betreten, obwohl sie nicht einmal etwas kaufen wollten. Auch ins Modehaus Vosen kamen diese Menschen, und auch andere kauften weiterhin bei ihr. So hatte sie auch keine Probleme, ihr Geschäft aufrecht zu erhalten, während andere jüdische Geschäfte ihre Türen schlossen. Sogar die Gattinnen der Naziprominenz in Braunschweig kauften heimlich weiterhin bei ihr. Im Mai 1935 wurden von Berlin aus die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte wegen der bevorstehenden Olympiade verboten. Trotzdem wurden von den Braunschweiger Nazis die Geschäftsbücher von Emmy Vosen beschlagnahmt, um herauszubekommen, wer bei ihr einkauft, und welche Parteifunktionäre darunter sind. Die Listen wurden vervielfältigt und veröffentlicht. Auf den Listen fand sich auch die Aufforderung, die Genannten zu verachten und zu beschimpfen. Die Personen (unter anderem Kaffeehändler Heimbs) wurden wirtschaftlich benachteiligt und auch aus der Partei geworfen. Am 3.3.1939 bittet Emmy die Behörden um die Rückgabe ihrer Geschäftsbücher. Die Antwort lautet, dass die Bücher nirgends vorhanden seien. Doch wollte man auch die Ursache für die Vergehen der Parteigenossen loswerden – Emmy Vosen.
Da aber die öffentlichen Aktionen gegen Juden von Berlin aus verboten waren, musste man sich etwas ausdenken. Man versuchte, sich dafür die Nürnberger Gesetze zu Nutze zu machen, welche sexuelle Beziehungen zwischen Juden und Deutschen verboten. Dafür nahm man am Gaußdenkmal unauffällig Kontakt zu dem schon erwähnten Jungen5 aus dem Haus „Am Gaußberg 2“ auf. Man wollte den Jungen dazu bringen, ein Schriftstück zu unterschreiben, in dem Emmy Vosen unterstellt wurde, sich an ihm vergangen zu haben. Der Junge aber verlangte, dass der Mann, der ihn angesprochen hatte, ihn nach Hause begleiten solle. Dort wies der Vater des Jungen den Mann zurecht, womit er eine Verhaftung Emmys verhinderte. Bei vielen anderen Juden in Braunschweig glückten jedoch derartige Listen. Doch auch in Emmys Fall gab es eine Schädigung des Opfers. Das Stadtgespräch sorgte dafür, dass jeder wusste, was Emmy vorgeworfen wurde. Also musste ihr Name von ihrem Geschäft verschwinden, dies wurde durch den, mit Emmy befreundeten, jüdischen Geschäftsmann Erich Unger möglich. Er übernahm den Verkaufsraum im Erdgeschoss und der Schriftzug war fortan der nicht jüdische Name seiner Frau. Emmy schneiderte weiterhin im Obergeschoss Kleider.
In der Pogromnacht 1938 wurden sowohl das Modehaus Vosen als auch das Stammgeschäft Ungers „Spezialhaus für Teppiche, Gardinen, Möbelstoffe etc.“ von SA-Truppen verwüstet. Unger wurde dabei schwer verletzt. Da Juden in Krankenhäusern nicht mehr aufgenommen wurden, starb er am 12.12.1938 an den Verletzungen. Bereits am 31.3.1937 wurde Emmys Schaufenster mit „Jude“ beschmiert. Durchgeführt wurde dies mit Glasätztinte von einem Braunschweiger NSDAP-Mitglied, dem Schneider Josef Zoul. Da er aber ohne Parteiauftrag handelte, wurde er wegen Sachbeschädigung am 16.6.1937 zu einem Monat Haft verurteilt.
Emmy musste 1938 das Haus am Gaußberg verlassen und in ein Judenhaus in der Ferdinandstraße 9 ziehen. Dort lebt sie bis zum 16. März 1943, dem Tag ihrer Deportation ins KZ Theresienstadt. 1939 verkauft sie für 8936 Reichsmark ihr Modehaus an die bereits erwähnte Frau Unger.
Von Theresienstadt aus schreibt sie am 28.6.1943 eine Karte an die Familie aus dem Haus am Gaußberg. Sie wurde gezwungen ihre Lage zu beschönigen. Ich möchte den Brief an dieser Stelle zitieren, da es sich um die einzigen Worte Emmy Vosens handelt, die wir auffinden konnten.
„Meine sehr Lieben, heute habe ich Gelegenheit Ihnen recht herzliche Grüße zu senden. Hoffentlich geht es Ihnen so gut wie mir.. Hab eine Reise, die mir unvergesslich bleiben wird, hinter mir. Bin immer noch im Haushalt beschäftigt.. Mein Koffer ist abhanden gekommen, besitze 1 Hemd, 1 Schlüpfer, 1 Rock, 1 Bluse. Jeden Sonntag wird gewaschen und frisch angezogen.“
Im folgenden Jahr starb sie im Alter von 63 Jahren angeblich an Typhus. Ein letzter Hinweis auf Verwandte konnte beim Finanzamt in Braunschweig6 ausfindig gemacht werden. 1948 wollte ein in Buffalo, New York, lebender Vetter Emmys, Hermann Vosen, Auskunft über ihren Verbleib und ihr Geschäft einholen. Im gleichen Jahr forderte er Wiedergutmachung.
Recherche: Phillipp Jacob, Freie Waldorfschule 2011