Bruno und Flora
Nur etwa 200 m von der Wohnung des Rechtsanwaltes und Notars
Dr, Norbert Regensburger (in der Lützowstraße 6) entfernt, im Hause Kaiser-Wilhelm-Straße 35a (jetzt Jasperallee)
lebten seit 1919 Regensburgers Kollege Bruno Mielziner und seine Frau Flora, geb. Goldberg, Witwe des Kaufmanns Nathaniel Littauer (Mitbegründer der Firma Hamburger & Littauer am Kohlmarkt,
1938 „arisiert“ unter dem Namen Rossbach und Risse.
Hier starb am 19. November 1937 Flora Mielziner nach schwerem Leiden.
Einen Tag später nahm sich Bruno Mielziner das Leben.
Beide wurden auf dem Jüdischen Friedhof an der Helmstedter Straße beigesetzt an der Seite von Brunos Vater Benny Mielziner.
Benny Mielziner wurde 1852 in Aalborg / Dänemark als Sohn eines Rabbiners geboren, wanderte als junger Mann nach einer Ausbildung als Kaufmann nach Deutschland aus und wählte Braunschweig als neue Heimat. Hier heiratete er die aus Tirol stammende Katholikin Marie Widmann, die mit der Eheschließung zum jüdischen Glauben übertrat und zwischen 1877 und 1888 fünf Kinder gebar : die Tochter Frieda: Sie heiratete kurz vor dem Ersten Weltkrieg Ariel Rulf und zog nach Holland ebenso wie die 1884 geborene Schwester Emilie, die Ariels Bruder Raphael Rulf heiratete. Als zweites der fünf KInder wurde 1882 Bruno geboren, ihm folgten nach der Schwester Emilie 1886 und 1888 die Söhne Georg und Otto.
Alle drei Söhne besuchten nach privaten Vorschulen das gerade erst (1885) aus dem Martino Katharineum ausgegliederte Neue Gymnasium,
das heutige Wilhelm-Gymnasium.
Währenddessen erwarb sich Vater Benny Mielziner weit über Stadt und Land Braunschweig hinaus einen hervorragenden Ruf als Fachmann für Konkursrecht und als Repräsentant und späterer Vorsteher der Jüdischen Gemeinde.
„Als Sohn eines Rabbiners war er, ein glaubenstreuer Jude, im jüdischen Schrifttum bewandert wie kaum ein anderer… Allen Judengegnern zum Trotze lieferte er durch seine Persönlichkeit den Beweis der Synthese von Deutschtum und Judentum.“
(Walter Heinemann in seinen „Erinnerungen eines Braunschweiger Juden nach 30 Jahren in der Fremde“ (Brunsvicensia Judaica, Braunschweig 1966, S. 105-131).
Trotzdem hatte Mielziner viele Neider und Gegner im völkisch-national geprägten Bürgertum Braunschweigs, in dessen Mitte das Ehepaar Mielziner seit 1899 in der Kaiser-Wilhelm-Str. 37 wohnte. Den mörderischen Judenhass der Nazis erlebte Benny nicht mehr – er starb 1926 in seiner Wohnung.
Umso vernichtender traf er seine Familie, insbesondere seinen Sohn Bruno.
Dieser hatte schon vor dem Ersten Weltkrieg einen solchen Ruf als Rechtsanwalt und Notar erworben, dass höchste Militär- und Regierungskreise in Berlin auf ihn aufmerksam wurden. Dem verdankte Bruno M., dass er nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges nach kurzer militärischer Grundausbildung bei der Kriegsmarine im Offiziersrang in die Admiralität in Berlin berufen wurde – ein Jude als Offizier in der kaiserlichen Kriegsmarine, damals ein sensationeller Fall für alle patriotischen Juden und Nichtjuden! Er wurde daher später als „Teilnehmer des 1. Weltkrieges (Korvettenkapitän)“ bezeichnet, aber viele seiner antisemitischen Neider und Gegner diffamierten ihn als Drückeberger und „Kriegsgewinnler“.
Nach dem Kriege bildete er mit bekannen nichtjüdischen Kollegen eine renommierte Anwaltssozietät. Seine umfassende Bildung und sein Talent als Unterhalter machten ihn u. a. zum „maitre de plaisir“ bei den alljährlichen gemeinsamen Festen und Bällen der Anwälte und Richter. Zugleich repräsentierte er das Braunschweiger Judentum u. a. als Präsident der bekannten Leopold-Zunz-Loge und von 1921 bis 1925 als Vorsteher der Jüdischen Gemeinde in der unmittelbaren Nachfolge seines Vaters.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten traf ihn das Berufsverbot in voller Härte. Er wurde zwar 1933 aus vorübergehender „Schutzhaft“ bald entlassen, konnte aber trotz verbotener Hilfe seiner nichtjüdischen Kollegen nicht mehr den Lebensunterhalt für sich und seine Frau sichern.
Als seine Frau an Krebs erkrankte, musste er erfahren, dass Juden nicht einmal das Sterben in einem Krankenhaus gestattet wurde.
Über das Lebensende des Ehepaars Mielziner berichtete später ein Freund der Familie: „Auf Grund der Verfolgungsmaßnahmen verschlimmerte sich der Krankheitszustand der Frau Flora … so, dass der behandelnde Hausarzt sie zur stationären Behandlung dem Krankenhaus Marienstift überwies. Am darauf folgenden Tage wurde Herrn Mielziner mitgeteilt, dass seine Ehefrau wegen ihrer jüdischen Abstammung am selben Tage in ihre Wohnung zu bringen sei, er (der Chefarzt) habe diese Anweisung vom Kreisleiter der NSDAP erhalten und habe dafür zu sorgen, das die Umlegung sofort erfolgt.
Ein Krankenwagen, worin die Patientin liegend transportiert werden musste, war ihr verboten, so dass die schwerkranke Frau in einem normalen Auto sitzend nach Hause gebracht wurde, wo sie am 19. 11. 37 verstarb.
Bruno Mielziner schied durch Selbstmord am 20.11.1937 aus dem Leben.“
Während Bruno das Angebot seiner Schwestern, zu ihnen nach Holland zu emigrieren, mit den Worten abgelehnt hatte, dass man einen alten Baum nicht mehr verpflanzen solle, folgten seine zu dieser Zeit noch in der Kaiser-Wilhelm-Straße 37 lebende Mutter, ihre holländische Schwiegertochter, Frau seines Bruders Georg, und deren Tochter (Sophie) jetzt unverzüglich dieser Einladung. Sie überlebten dort die auch in Holland nach 1940 einsetzenden Judenverfolgungen, bis auf eine Tochter der Mielziner-Tochter Frieda, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde.
Flora Mielziners Sohn Alfred Littauer, der einige Jahre beim Ehepaar Mielziner in der Kaiser-Wilhelm-Str. 35a gelebt hatte und 1933 nach Hannover gezogen war, wurde 1941 nach Riga deportiert und dort im Getto oder einem KZ ermordet.
Bleibt nachzutragen, dass Brunos Brüder Georg und Otto der Verfolgung entkamen: der jüngere Otto tauchte zunächst in München unter, bis ihm die Auswanderung nach Monaco gelang, Georg, der 1932 Frau und Tochter verlassen hatte, flüchtete 1938 zu seinen holländischen Schwiegereltern, nach der Besetzung Hollands über Dünkirchen nach England, wo er Asyl fand. Nach dem Kriege, 1951, kehrte er, körperlich und seelisch gebrochen, nach Braunschweig zurück, wo er schon ein Jahr später starb und seine letzte Ruhestätte auf dem Jüdischen Friedhof neben seinem Vater und seinem Bruder Bruno fand. Seine Tochter Sophie, deren leiblicher Vater übrigens Bruno Mielziner war, lebt noch heute in Uganda.
Mit dem Ehepaar Bruno und Flora Mielziner gedenken wir der ganzen Familie Mielziner, in Holland wie in Braunschweig.
Recherche: Prof. Dr. E.-A. Roloff